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Traumafolgen: Zu komplex für TikTok und Co?

„ADHS ist eine Traumafolgestörung…..“, „Prokrastination ist eine Traumafolgestörung….“, „Mangelnder Selbstwert ist eine Traumafolge…. “ usw. In diversen Reels begegnen mir Varianten dieser sehr verkürzten und leider auch schlichtweg falschen Aussagen. Schon ein kleines Wort hätte hier einen Unterschied machen können, nämlich: „…. kann eine Traumafolge sein“. So habe ich es aber selten gelesen. In einem Reel ist nicht viel Zeit für die Erläuterung komplexer Themen. Warum sollte ich mich dann über das Fehlen eines kleinen Wortes aufregen?

Falsche Rückschlüsse: vom Symptom zur Ursache statt umgekehrt.

Was in diesen vereinfachten Aussagen über das komplexe Thema Trauma steckt, ist ein Rückschluss von einem Symptom (z.B. Prokrastination) auf eine Ursache (hier: Trauma). Das funktioniert so aber nicht. Es gibt eine lange Reihe möglicher Traumafolgen. Neben der sogenannten Trauma-Trias (Intrusionen, Übererregung, Vermeidung), in der sich eine PTBS zeigt, gibt es etliche weitere mögliche Traumafolgen. Es kann in Folge einer Traumatisierung auch zu Depressionen, sozialen Ängsten, starken Stimmungsschwankungen und vielem mehr kommen. Aber…. keines dieser Symptome lässt einen einfachen Rückschluss zu, was die Ursache des Symptoms ist. Hat eine Person zum Beispiel eine Depression, kann ich daraus auf keinen Fall automatisch ableiten, dass diese traumatisiert ist. Eine Depression kann etliche Ursachen haben und Trauma ist nur eine davon. Gleiches gilt auch für alle anderen Symptome. Trauma kann sich in Form von Aufmerksamkeitsstörungen zeigen. Aber nicht jede Person mit Aufmerksamkeitsstörungen hat ein Trauma. Und für mangelnden Selbstwert reicht es zuweilen, zu viel Zeit auf Social Media zu verbringen.

Absicht oder dem Medium geschuldet?

Wie ich oben bereits feststellte, hätte letztendlich das kleine Wörtchen „kann“ schon einen bedeutenden Unterschied gemacht. All diese Symptome können die Folge von Trauma sein, aber irgendeines dieser Symptome zu haben, heißt eben nicht notwendigerweise, traumatisiert zu sein. Es kann also nicht an mangelnder Zeit oder Platz in einem Reel oder Bild liegen. Die Antwort, die meiner Meinung nach dieser Vereinfachung zugrunde liegt, ist schlichtweg: Geld. Fast immer steckt hinter solch vereinfachten Aussagen ein Produkt, was verkauft werden soll. Und Produkte sollen natürlich an möglichst viele Menschen verkauft werden. Nun hat eine PTBS eine Lebenszeitprävalenz von 2-7%. Das ist also kein besonders großer Markt, um dort sein Produkt zu verkaufen.

Die guten und die schlechten Seiten an der zunehmenden Aufmerksamkeit rund um das Thema Trauma

Zunächst einmal: Ich finde es großartig, dass Traumatisierungen heutzutage deutlich ernster genommen werden, als es noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall war. Ein „stell dich nicht so an“ dürfte den meisten Menschen heute nicht mehr so leicht über die Lippen gehen, wie früher, da deutlich mehr Wissen in der Bevölkerung vorhanden ist, dass Trauma mit „sich anstellen“ nun so gar nichts zu tun hat. Es gab einen immensen Anstieg an Forschung und Fachliteratur, an Ratgebern und Selbsthilfebüchern. Es gibt etliche Trauma-Influenzer:innen – sowohl Expert:innen (und manchmal auch solche, die vorgeben welche zu sein) – als auch Kanäle von Betroffenen, die andere über ihren Lebens- und Leidensweg informieren. Das ist wirklich größtenteils zu begrüßen. Aber: Das Thema hat sich auch zu einem Markt entwickelt, in dem sich Geld verdienen läßt.

Auch das ist erst mal nicht grundsätzlich falsch. Natürlich sollen Personen, die viel Arbeit in ein Fachbuch, einen Ratgeber, einen Kurs oder was auch immer stecken dafür entlohnt werden. Das Problem fängt meiner Meinung nach da an, wo versucht wird, den Markt (sprich: die Zahl von Menschen, die von sich glaubt, traumatisiert zu sein) künstlich zu erhöhen.

Prokrastination ist keine Traumafolgestörung?

Alles mögliche kann sich in Folge einer Traumatisierung als Folgesymptome zeigen. Die Liste ist zu lang, um alle Folgen hier aufzulisten. Einige mögliche Folgen stehen oben. Aber: von keinem einzigen dieser Folgesymptome kann man den Rückschluss auf eine geschehene Traumatisierung ziehen. Einfach gesagt: Nur weil jemand prokrastiniert, muss die Person nicht traumatisiert sein. Und wenn jemand traumatisiert ist, dann kann es sein – muss aber nicht – dass die Person dann später prokrastiniert. Also: „Ich prokrastiniere, also bin ich traumatisiert“? Nein! „Ich bin traumatisiert und meine Prokrastination ist eine Folge davon?“ – vielleicht.

Wenn also eine Person, die ihr Geld mit Menschen verdient, die potentiell von Trauma betroffen sind, aus (in der Gesellschaft vielfach vorhandenen) Symptomen wie Depression, Prokrastination, sozialen Ängsten etc. den unzulässigen Rückschluss zieht, dass diese Menschen alle traumatisiert sein sollen, dann kann ich nur vermuten, dass es dieser Person vor allem darum geht, ihre Zielgruppe zu vergrößern, indem sie von möglichst vielen Symptomen behauptet, dass Trauma die zugrundeliegende Ursache dieser Symptome sei. Denn das kleine Wörtchen „kann“ sollte doch eigentlich in jede Erläuterung passen. Schau also genau hin, ob jemand mit dir Geld verdienen will, wenn Du das nächste mal liest „…… ist eine Traumafolgestörung“.