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Die goldene Mitte

Um zu visualisieren, worauf es in der Traumatherapie bzw. Traumaverarbeitung ankommt, habe ich diese Grafik erstellt:

Sie bezieht sich auf das sogenannte „Toleranzfenster“, dem emotionalen Bereich, in dem Traumaverarbeitung möglich ist, weil die damit verbundenen Emotionen weder zu stark sind, noch verdrängt werden müssen. Traumatisierte schwanken oft zwischen einem dissoziativen Zustand, in dem sie wenig oder nichts fühlen, oder einem Zustand der Übererregung, in dem Gefühle und Erinnerungen überhand nehmen und dadurch emotional stark herausfordernd werden. Das Toleranzfenster ist quasi die „goldene Mitte“ zwischen diesen beiden „Extremen“.

Im Laufe der Auseinandersetzung mit den Inhalten dieser Website ist mir aufgefallen, dass das Toleranzfenster als Methapher auch gut auf andere Bereiche übertragbar ist. Zum Beispiel auf die immer stärker werdenden spaltenden Tendenzen in unserer Gesellschaft. Viele Diskussionen werden nach einem schwarz oder weiss Schema geführt. Zwei (oder mehr) Seiten kämpfen um ihre Deutung einer Sachlage. Beide beharren auf der Richtigkeit ihres Standpunktes und stehen auf ihrem „Ufer“, nicht bereit, den anderen wahrzunehmen.

Viele kennen vielleicht dieses Zitate des persischen Dichters Rumi:

„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort begegnen wir uns“.

Diese Haltung zu verinnerlichen, halte ich für äusserst hilfreich. Gerade gesellschaftliche Diskussionen, aber auch die zwischen Individuen wären deutlich heilsamer, wenn beide Seiten sich bemühen, das Gegenüber zu verstehen. Wir leben in einer äusserst komplexen Welt und viele haben ein Bedürfnis nach einfachen Erklärungen. Diese werden aber der Komplexität, die viele Themen ausmacht, nicht gerecht. Diese auszuhalten, also einen Standpunkt in der Mitte zu wahren, vielleicht sogar zuzugeben „ich weiß es (noch) nicht“ ist für viele eine große Herausforderung. Die Psychologie hat hierfür den wunderbaren Begriff „Ambiguitätstoleranz. Wenn wir aushalten können, dass andere die Welt anders erleben, als wir das tun, dann haben wir eine Chance, sie zu sehen, sie zu verstehen, vielleicht die Ängste oder Bedürfnisse, die hinter dem Verhalten stehen, zu begreifen, und können uns zusammen-setzen, statt eine Auseinander-Setzung zu haben. In der Metapher der obigen Grafik würden die streitenden Parteien dann zusammen im (wackeligen?) Boot sitzen, aber immerhin wären sie in Bewegung und würden sich nicht vom gegenüberliegenden Ufer aus „anschreien“.

In diesem Blog werde ich mich immer mal wieder mit traumaspezifischen Themen auseinander setzen und meine Gedanken dazu veröffentlichen.