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Bestellungen beim Universum – oder wie (manche) Esoterik Schuld bei Traumatisierten kreiert

„Du musst nur genug dran glauben“. „Was Du denkst, wird sich manifestieren“. „Denke positiv“. „Wie hast Du Dir das kreiert?“. „Ändere deine Gedanken und du änderst dein Schicksal“. Gurus, Mentalisierungscoaches, Influencer oder andere Personen in der Öffentlichkeit bedienen gerne die Haltung, dass alles, was Dir widerfährt durch Deine Gedanken beeinflussbar ist. Ich will dabei gar nicht in Frage stellen, dass positives Denken hilfreich ist. Im Gegenteil, optimistische Menschen leben zufriedener. Aber in der Argumentation, wie sie gerne von manch „spirituellen“ Menschen benutzt wird, gibt es einen gefährlichen Umkehrschluss: „Wenn es nicht gut läuft, dann hast Du Dir das wohl selbst kreiert“. Es gibt kein Thema was von diesem Konzept ausgenommen zu sein scheint. Selbst Krebs sei eine selbst kreierte Erkrankung behaupten manche Ansätze. „Du musst nur an den Punkt in Deinem Leben zurück gehen, an dem Du ´Nein´ zum Leben gesagt hast und diesen bearbeiten“ ist eine Aussage, die ich schon mehrfach gehört habe.

Ich habe selbst mal in einem Workshop in dem es um Selbstverantwortung ging durch den Leiter das fiktive Beispiel von drei Frauen, die Nachts durch einen Park gingen gehört. Zwei kämen heil auf der anderen Seite wieder an, die Dritte wurde vergewaltigt. „Wie hat sich die Dritte das kreiert?“ war eine Frage, die erschreckenderweise ernsthaft dort diskutiert wurde.

Warum ich darüber schreibe? Weil ich immer wieder auf ähnliche, viel populärere Beispiele stoße. Ob „The Secret“, „Bestellungen beim Universum“, „Das Gesetz der Anziehung“, #LuckyGirlSyndrome (aktuell auf TicToc), diverse Life-Coaches auf YouTube und viele mehr. Sätze wie „Du musst es Dir nur in Deinen Gedanken manifestieren“ und die implizierte andere Seite der Medaille: „Wenn Dir Mist widerfährt, dann hast Du Dir das selbst kreiert“ sowie die komplett esoterische Erweiterung: „Falls Du in diesem Leben alles richtig gemacht hast, Dir aber trotzdem Mist widerfährt, dann ist das eben eine Konsequenz aus den falschen Taten in Deinem letzen Leben“ sind Giftsätze. Gift, welches sich als Spiritualität oder aber Lifestyle tarnt, in Wirklichkeit aber Schuld kreiert. Wenn es mir nicht gelingt, positiv zu denken, dann bin ich selber Schuld. Wenn mir Schlimmes widerfährt, muss ich schauen, wie ich dies kreiert habe, damit ich zukünftig verschont bleibe. Ich denke, Du ahnst, warum mich das als Traumatherapeut so wütend macht. Denn dieses Denken impliziert, dass Traumatisierte sich ihr Trauma selbst kreiert haben, dass sie und nur sie allein verantwortlich sind für ihr Schicksal (wie dann übrigens auch Arbeitslose, Obdachlose, und -siehe oben- auch an Krebs Erkrankte, denn sie hätten ja schließlich „Nein“ zum Leben gesagt). Und damit sie in Zukunft dann doch das glückliche Leben haben, nachdem sie sich sehnen, müssen sie einfach nur beim Universum bestellen, was sie sich wünschen und dann wird alles gut??

Kleiner „not so fun fact“ am Rande: Bärbel Mohr, Autorin vom Millionen Bestseller „Bestellungen beim Universum“ hatte nicht nur ein heftiges Burnout, sondern starb mit 46 Jahren an Krebs und hinterliess einen Mann und 2 Kinder. Ich bin mir sicher, manches Wesen wird auch hierfür eine einleuchtende karmische Erklärung haben.

Es ist natürlich sinnvoll, seine Biographie und mögliche Traumata in ihr aufzuarbeiten. Trauma kreiert chronischen Stress im Körper und chronischer Stress macht krank. Es erhöht sogar die Wahrscheinlichkeit für manche Krebsarten. Das ist noch zu wenig erforscht, um dazu klare Aussagen zu machen, aber Zusammenhänge sind gegeben. Wenn eine Person ihr Trauma verarbeitet hat, und danach weniger Stress im System hat, dann kann sich das in Folge auch positiv auf ihr Immunsystem auswirken. Ob dies so weit geht, dass chronische Krankheiten sich damit erledigen, steht allerdings in den Sternen und einzelne positive Beispiele sind noch lange kein Beweis, dass Traumaverarbeitung grundsätzlich zur Heilung von körperlichen Erkrankungen führt.

Das bringt mich zu der nächsten Falle: „Du bist (noch) nicht so weit“. Wenn über esoterisches Denken, der Glauben kreiert wird, dass es möglich ist, alles zu überwinden, denn am Ende steht ja schließlich die Erleuchtung (und laut manchem Guru die Heilung aller Krankheiten), dann hieße dies ja: Solange jemand noch erkrankt, deprimiert, in Angst, mit dem Trauma assoziiert oder was auch immer ist, dann ist diese Person halt noch nicht so weit und muss weiter auf „spirituellen“ Pfaden wandeln. Dies wiederum kreiert ein ständiges Gefühl von „ungenügend sein“. Man erlebt gesündere oder glücklichere Personen als „besser“, „weiter“ und sich selbst halt als „noch nicht so weit“. Solche Ideen spülen sicher einiges an Geld in die Portemonnaies so mancher Gurus oder Lifestyle Coaches, denn es gibt immer noch was zu tun, immer noch einen Schritt zu gehen.

In der Gestalttherapie wird vom sogenannten „Paradox der Veränderung“ gesprochen. Erst wenn Du Dich ganz so annimmst, wie Du bist, kann Veränderung passieren. Diese Art zu Denken entspricht mir mehr, als alles, was ich oben erwähnt habe. Doch dieser Schritt ist nicht einfach. Viele Ereignisse im Leben (insbesondere traumatische) gehen mit Schuldgefühlen, Ideen von „ungenügend sein“ einher. Wir alle haben in unserem Leben hunderte wenn nicht tausende Bewertungen erlebt, durch Eltern, Erzieher, Lehrer, Freunde, Partner. Diese gravieren sich tief in unser Selbstbild ein. Auch hier ist es nicht einfach ein: „Lieb Dich, wie Du bist“ und dann wird alles gut. Dies ist ein langwieriger Prozess des Bearbeitens und Begreifens der eigenen (Trauma-)Geschichte. Sich selbst als schuldig zu empfinden ist nämlich -so bizarr es klingen mag- oft die einzige Möglichkeit, um in einem bedrohlichen Umfeld zu überleben. Denn wenn jemand als Kind Schreckliches erlebt, aber sich nicht aus dem Umfeld entfernen kann, weil man halt ein Kind ist, dann erzeugt dieses Schuldgefühl eine scheinbare Kontrolle in einer unkontrollierbaren Situation. Das Kind gibt sich selbst die Schuld und versucht, sich zu optimieren, in der Hoffnung, dass der Wahnsinn im Außen (bei dem die wahre Schuld liegt) sich dann legen wird. Diesen Mechanismus zu durchschauen ist ein erster wichtiger Schritt um sich von den als erwachsene Person noch immer bestehenden Schulgefühlen zu befreien. Dies ist ein langwieriger Prozess und nicht durch ein einfaches „denk positiv“ zu bewerkstelligen. Neben der Traumaverarbeitung ist dies ein weiterer wesentlicher Aspekt einer Traumatherapie.

Und bevor ich meine spirituellen Leser*innen (und Klient*innen) verschrecke: ich begreife mich durchaus als spirituellen Menschen. Aber um zu begreifen, dass alles mit allem zusammenhängt, reicht mir die Biologie und die (Quanten)Physik. Um zu begreifen, dass nur ein „Ja“ zum Leben mit Allem, was dies enthält, inklusive der Natur und meinen Mitmenschen, unsere Welt zu einem besseren Ort wandeln kann, brauche ich keine Gurus, sondern das Erleben, wie heilsam es ist, sich der Welt gegenüber respektvoll zu verhalten. Um zu begreifen, dass Meditation mich in die Stille führen kann (die wiederum für manch traumatisierten Menschen recht bedrohlich ist), muss ich mich nur hinsetzen, mich in Ruhe und mit Mitgefühl mir selbst zuwenden und kann dies direkt erleben. Dafür jedoch ist der wichtigste Aspekt, ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Menschen, die diese Zustände nie erlebt haben, haben einen aufreibenden Weg vor sich. Traumatherapie kann hierbei ein wichtiger Schritt sein.

Ich erlebe die meisten meiner Klienten oft als -auf eine Art- Gesündere in einer pathologischen Gesellschaft, denn sie sind, im Gegensatz zu Vielen, bereit zu spüren, was schief läuft. Dies ist ein wichtiger Schritt nicht nur zur eigenen Heilung sondern auch der unserer (Um)Welt. Ein wunderbares Buch zu diesem Thema ist: „Wenn wir wieder wahrnehmen„. Auch hier gilt für mich wieder das Prinzip der „Goldenen Mitte„. Sich mit dem Schmerz der Welt zu identifizieren ist nicht gesund, sich aber zu distanzieren und sich weigern, wahrzunehmen, was alles schief läuft ist ebenso nicht heilsam. Im Toleranzfenster kann auch die Gesellschaft heilen. Indem wir anerkennen und bereit sind, zu spüren, dass einiges schief läuft, ohne uns davon resignativ aus der Bahn werfen zu lassen, sondern diesen Schmerz annehmen als Inspiration zur positiven Veränderung. Und nein, das ist leider nicht ganz so leicht, wie manch ein Bestseller oder Influencer es uns verkaufen will.