Suche
Suche Menü

Transformation oder Regulation?

Die meisten Menschen, die sich in eine Traumatherapie begeben, tun dies mit dem Ziel, ihr Trauma zu verarbeiten. Dies ist aber leider nicht immer vollends möglich. Manche Menschen wurden so früh, so oft, so heftig verletzt, dass eine Traumaverarbeitung im klassichen Sinne oft nicht möglich ist. In einer Traumaverarbeitung wird das Trauma im geschützen Rahmen erinnert (oder die Körpererinnerung an das Trauma hervorgerufen), um dann verarbeitet zu werden. Wie das bei einem Monotrauma passiert habe ich in diesem Artikel dargestellt. Wenn nun aber eine Person in ihrem Leben etliche, manche hunderte traumatisierende Situationen erlebt hat, dann ist es schwer denkbar, dass diese in einem Leben im Rahmen einer Therapie verarbeitet werden können.

Es gibt durchaus Ansätze, die Erlebnisse zu „clustern“, das heisst, Erfahrungen einer ähnlichen Qualität gemeinsam zu bearbeiten. Das ist möglich, aber auch herausfordernder. Je komplexer und je früher die Traumatisierungen geschehen sind, umso schwieriger ist dieses. Auch sind viele Erfahrungen eventuell gar nicht erinnerbar, so dass die Verarbeitung vor weiteren Herausforderungen steht. Es kann also in einzelnen Fällen sein, dass das Ziel einer vollkommenen Überwindung aller Traumata (leider) gelegentlich unerreichbar ist.

Einige Ansätze, zum Beispiel EMDR, haben neben dem clustern noch die Strategie entwickelt, sich vor allem auf 3 Aspekte zu fokussieren: Die früheste erinnerbare Traumatisierung, die Schlimmste und die am kürzesten zurück liegende. Wenn diese 3 verarbeitet sind, dann ist bereits ein großer Schritt geschafft. Doch auch das reicht nicht immer. Hier kommt die „Regulation“ ins Spiel. Wenn die relevantesten Traumatisierungen verarbeitet sind, sollte es der traumatisierten Person bereits möglich sein, deutlich seltener getriggert zu werden und deutlich seltener emotional überschwemmt zu werden. Bereits im Vorfeld der Traumaverarbeitung sollten in der Therapie Übungen zur Selbstregulation erlernt worden sein. Diese sind zum einen relevant, um im Alltag besser mit Triggern umgehen zu können, haben aber auch eine besondere Relevanz in der Traumaverarbeitung, um, falls der Prozess zu intensiv wird, diese Übungen einzusetzen, um sich wieder zu beruhigen.

Ich empfehle machen meiner Klient*innen, ein „Triggertagebuch“ zu führen. Im EMDR nennt sich dieses das TICES-Tagebuch (Trigger, Image, Cognition, Emotion, Sensation). Die Idee ist, festzuhalten, durch welchen Auslöser (Trigger), welche inneren Bilder, Gedanken, Emotionen und Körpersensationen ausgelöst werden. So lernt die Person nach und nach, ihre Auslöser besser kennen. Meiner Erfahrung nach gibt es nahezu immer einen Auslöser, der identifiziert werden kann, auch wenn manche das Gefühl haben, dass die emotionale Überschwemmung einfach so passiert sei. Je klarer diese Zusammenhänge sind, umso erfolgreicher kann die Person lernen, sich zeitig zu regulieren.

Hier kommen nun wieder die Regulationsübungen ins Spiel. Je nach Reaktion auf den Trigger empfiehlt sich unter Umständen eine andere Übung. Ist die Reaktion vor allem körperlich, können dies zum Beispiel Atemübungen sein, ist sie stärker auf die Gedanken beschränkt (zum Beispiel Selbstabwertungen), helfen eventuell verhaltenstherapeutische Ansätze (zB „Gedankenstopp“), sind die inneren Bilder zu intensiv, kann eine Imaginationsübung helfen. Dies ist ein Grund, warum ich hier etliche Ressourcenübungen veröffentliche, denn nicht jede Übung wirkt für jede Person und Situation gleich gut.

Erst durch eine intensive Beschäftigung mit den Auslösern und den Folgen kann eine Person nach und nach erlernen, welche Ressourcenübung in dieser Situation am besten hilft. Im Idealfall gelingt es ihr eines Tages so rechtzeitig und effizient auf einen Auslöser zu reagieren, dass die negativen Emotionen und sonstigen Reaktionen, die ausgelöst wurden nur noch geringfügig sind, bzw. schnell wieder reguliert werden können. Wenn also die schlimmsten Ereignisse „transformiert“ wurden, indem sie verarbeitet wurden, können die restlichen Reaktionen im Idealfall gut „reguliert“ werden, um dadurch in der Lage zu kommen, auf Herausforderungen weitestgehend angemessen reagieren zu können.